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Dr. Valentin Müller

Der Hausarzt in Eichstätt

Valentins Müller Tochter Irmgard schrieb bei einem Besuch in Assisi 1950 in ihr Tagebuch: „Eine Frau kam auf mich zu, glücklich und sehr bewegt. Sie erzählte von ihrer großen Angst während des Krieges. Doch als der Oberst –il colonello – die Stadt betreten hatte, verließ sie die Angst. Die Einwohner Assisis verehren Dr. Valentin Müller als den Retter der Stadt, ihm sei es zu verdanken, dass die heiligen Stätten, die mittelalterlichen Mauern, die Kunstschätze ebenso wie die Menschen, unbeschadet blieben. Während des Krieges sagten die Menschen: Wir haben drei Beschützer: Gott, den hl. Franziskus und Oberst Müller.“

Valentin Müller wurde 1891 als Sohn des Zimmermanns im unterfränkischen Zeilitzheim geboren. Als er 13 Jahre alt wurde, ermunterte ihn ein Onkel, der selbst Priester war, das bischöfliche Knabenseminar Kilianeum in Würzburg zu besuchen. 1911 machte er dort 20-jährig sein Abitur. Valentin wollte Chirurg werden und begann das Medizinstudium. Doch dann kam der Erste Weltkrieg. Als fast fertiger Arzt wurde er eingezogen und rettete viele Verwundete an der Front. Für seinen Einsatz erhielt er später die silberne Tapferkeitsmedaille. Am Kriegsende nahmen ihn die Briten gefangen, jedoch gelang es ihm mit Hilfe eines Tricks freizukommen.

Erst nach seiner Rückkehr konnte er sein Medizinstudium vollständig abschließen. Er eröffnete 1919 in Emsing bei Titting (damals Mittelfranken) eine eigene Praxis für Allgemeinmedizin. Zwei Jahre später zog er nach Titting und übernahm dort ein kleines Krankenhaus, für dessen Kapelle er einen Altar stiftete.

Im Jahr 1922 heiratete er Maria Hofer, die Tochter eines Kaufmanns. Zusammen hatten sie zwei Kinder, Sohn Robert und Tochter Irmgard, die ebenfalls Ärzte wurden. 1933 zog Familie Müller nach Eichstätt, weil es Schwierigkeiten mit den örtlichen Nationalsozialisten gegeben hatte. Valentin Müller war niemals Parteimitglied gewesen und der einzige Arzt, der in dieser Zeit kranke jüdische Patienten noch zu Hause besuchte. Er eröffnete in Eichstätt eine Praxis für die ganze Region. Von frühmorgens bis spätabends arbeitete er. Im Jahr 1937 kauften sie von einer jüdischen Familie ein Haus in der Luitpoldstraße.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Valentin Müller einberufen und zum Oberst ernannt. Er war an den Feldzügen gegen Polen, Frankreich und Russland beteiligt. Seiner Frau schrieb er beinahe jeden zweiten Tag einen Brief. Unter anderem berichtet er, dass er auch zu den gegnerischen Zivilisten gerufen wurde, um sie als Arzt zu versorgen. Im Brief vom 2. Juni 1940 wird seine Haltung den Menschen gegenüber, ob Freund oder Feind, sehr deutlich: „Es ist immer, wenn ich ein Haus betrete, in den Gesichtern die Angst und die Abneigung zu lesen. Spreche ich dann einige Worte mit warmer Stimme, streiche dem Kranken mit der Hand durchs Haar und nehme dann seine Hand fest, so werden sie ruhig und langsam sieht man das Vertrauen in den Augen wachsen, die Not, der Schmerz, die Krankheit kommt zum Vorschein, auf einmal sind sie leidender Mensch, nicht mehr Feind. Sie sind dann von einer rührenden Hingabe, haben großes Vertrauen, und glauben alle, dass sie wieder gesund werden, wenn ich länger da bleibe. Gestern wollte mir eine Frau 3 Eier schenken, eine andere Speck, eine dritte wollte bezahlen. Und wenn ich dann ablehne, so weinen sie, fassen nach der Hand, wollen sie küssen und danken, danken. Genug davon.“

In einem anderen Brief schrieb er: „Heute habe ich ein Mädel, 4 Jahre alt, das sich schwer verletzt hatte, versorgt; anfangs schrie und jammerte es, aber binnen kurzer Zeit, war sie meine Freundin und scherzte und lachte mit mir.“ „Inzwischen sind wir schon wieder woanders, aber ich versuche jeden zweiten Tag zurückzukommen an meinen früheren Platz, wo ich ein Mädel mit 10 Jahren mit einer schweren Lungenentzündung zurückließ und eine schwer verletzte Frau. Du glaubst nicht, wie die ganzen Familien weinten, als ich fortzog. Als ich das erste Mal zurückkam, waren Freudentränen das erste. Gott sei Dank geht´s beiden besser.“

Es war durchaus gefährlich für ihn, in dieser Weise zu helfen: „Dadurch, dass ich einem kranken Zivilisten etwas Gutes tun wollte, habe ich jetzt derartige Scherereien. Aber ich bin im festen Vertrauen, dass sich wie jede, auch diese gute Tat lohnt. Ich habe es so gut gemeint … hat mich schon manche schlaflose Nacht beinahe gekostet, zumal ich mich mit niemandem aussprechen kann.“ Er deutet an, dass er innerhalb der Wehrmacht unter Beobachtung stand, ja wegen seiner religiösen Haltung bedroht wurde. Er soll es nicht geduldet haben, dass in seinem Beisein ein Soldat fluchte.

1942 wurde er angewiesen, das erste Lazarett in Stalingrad einzurichten. Nur wenige Tage, bevor die Rote Armee die Stadt einschloss, wurde er aber nach Lourdes abberufen, um dort eine Abteilung für den Transport von Verletzten aufzubauen. Als Chef dieser Abteilung kam er 1943 in Italien an. Hier erfuhr er vom Vorhaben, in Assisi ein Lazarett zu errichten. Er interessierte sich dafür, diese Aktion zu leiten. Es ist seiner Initiative und Durchsetzungsfähigkeit zu verdanken, dass diese Pläne schließlich im Februar 1944 verwirklicht wurden. Später wurde er zum Stadtkommandanten Assisis erklärt. Nur wenige Monate darauf wurde er von der US Armee in Kriegsgefangenschaft genommen.

Noch im Jahr 1945 konnte er nach Eichstätt zurückkehren, wo er seine ärztliche Praxis fortsetzte. Wie in Assisi besuchte er nun jeden Morgen um 6 Uhr die Frühmesse. Seine Frau erzählte einmal, dass sie ihn nach einem nächtlichen Noteinsatz nicht aufweckte. Sie hatte gedacht, er bräuchte dringend seinen Schlaf. Doch er tadelte sie: „Warum hast Du mich nicht geweckt? Du weißt doch, wie ich es brauche!“

Im Jahr 1950 war er zusammen mit seiner Familie nach Assisi eingeladen. Die ganze Stadt empfing ihn wie einen Helden. Bereits im Frühjahr 1951 erkrankte er schwer. Nur sechs Wochen, nachdem er seine Arbeit einstellen musste, starb er in einem Münchner Krankenhaus. Einer seiner letzten Besucher war ein enger Freund, Pater Antonio Cairoli, der Generalpostulator der Franziskaner-Minoriten in Rom. "Mein Assisi kommt zu mir zurück!", waren seine letzten Worte, als er den Pater in sein Krankenzimmer kommen sah.

Dr. Valentin Müller ist in Eichstätt begraben. Auf seinem Grabstein ist die Silhouette der Basilika San Francesco und des Sacro Convento in Assisi zu sehen.

Bernadette und Josef Raischl

Die Rettung Assisis 1944
Quellen und Literatur

Veranstaltungen und Termine

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Mittwoch, 15. Januar
18.30 Uhr
Prof. Dr. Hans Mendl: "Ein Stock höher?" Das Eichstätter Knabenseminar in den 1970er Jahren
Ort: Eichstätt, Bischöfliches Seminar St. Willibald, Saal Thomas von Aquin (1. OG, Raum F 104)

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