Pater Gerhard (Taufname: Michael) Scherer war Mitglied des Konvents der Zisterzienser-Mönche im ehemaligen Kloster Seligenporten von Mai 1931 bis zu seinem Tod im Zuchhaus Brieg im Jahre 1944. Im Totenkalender des Klosters ist sein Name nicht zu finden.
Ein Blick auf sein Leben zeigt ein recht unstetes, unkonventionelles Bild. Michael Scherer erblickte am 15. März 1892 in dem kleinen Ort Voggenthal bei Neumarkt in der Oberpfalz das Licht der Welt. Seine Eltern Johann Scherer undTheresia, eine geb. Nißlbeck, besaßen dort ein kleines landwirtschaftliches Anwesen. Michael war der älteste von neun Geschwistern. Seine Kindheit und Jugendzeit liegen weitgehend im Dunkeln. Wir wissen, dass er 7 Jahre lang die Volksschule in der Gemeinde Pelchenhofen bei Neumarkt besuchte und zum Schuljahr 1906 in das Gymnasium und das Knabenseminar Eichstätt eintrat, das er mit dem Erhalt des Reifezeugnisses abschloss. Als der 1. Weltkrieg über Europa hereinbrach, meldete er sich, wie manch anderer seines Jahrgangs, als Freiwilliger zum Militär. Dort diente er von August 1914 bis zum Endes des Krieges im November 1918 beim 14. Bayerischen Infanterie-Regiment an der Westfront. Bereits 1915 wurde er zum Unteroffizier befördert, 1918 zum Offiziersanwärter ernannt und erhielt für seinen Einsatz verschiedene militärische Auszeichnungen. Im September 1916 wurde er verwundet, im Juni 1918 verschüttet und lag dann, wohl als Folge dieses Traumas, einige Monate nervenkrank in einem Lazarett in Küstrin an der Oder. An diesen Kriegsfolgen litt er Zeit seines Lebens.
Seine Absicht, nach Kriegsende ein naturwissenschaftlich-technisches Studium zu beginnen, musste er aus diesem Grund und auch wegen der wirtschaftlichen Notlage in der Heimat aufgeben. So bekam sein Lebensweg eine ganz andere als die geplante Richtung. Nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung in den Jahren 1919/20 wurde er zunächst im Betrieb der Eltern tätig. Gleichzeitig engagierte er sich für die bäuerlichen Gemeinschaft. So gelang es ihm, die Bauern der Gemeinde zu genossenschaftlichen Aktivitäten zu motivieren, die für alle von Vorteil waren. Er hatte sich also damals weitgehend in seine bäuerliche Umgebung integriert. Sein religiöses Leben orientierte sich, nach Aussagen von Zeitzeugen, nicht am traditionellen Christentum seines Umfelds. Wie diese Aussage zu interpretieren ist, bleibt offen, jedenfalls war eine Zukunft als Ordensmann zu dieser Zeit wohl noch nicht vorgezeichnet. Im Jahre 1927 sollte er das Anwesen der Eltern als Erbe übernehmen, was sich jedoch daran zerschlug, dass er nicht bereit war, dazu die geforderte „Vernunftehe“ einzugehen und seiner Wunschpartnerin zu entsagen. Schweren Herzens verzichtete er auf sein Erbe und verdiente seinen Lebensunterhalt forthin als Arbeiter und Verwalter auf fremden landwirtschaftlichen Gütern. Seine angeschlagene Gesundheit zwang ihn allerdings bald, sich nach einer weniger anstrengenden Arbeit umzusehen, was jedoch in der herrschenden Wirschaftskrise mit einer wachsenden dramatischen Arbeitslosigkeit ohne Erfolg blieb.
Zu dieser Zeit erhielt er völlig unerwartet das Angebot – er selbst sprach von göttlicher Vorsehung – in die Zisterzienserabtei Bronnbach im Taubertal einzutreten. Sein Beichtvater, der Pfarrer Johann Weis in Dietkirchen hatte ihn als Mitarbeiter für die Ökonomie des Klosters empfohlen. Der damaligen Abt Bernard Widmann (1867-1934) überzeugte ihn jedoch, den Weg eines Mönchspriesters zu gehen, und so wurde er Novize im Kloster Bronnbach. Bei seiner Einkleidung am 08.03.1930 erhielt er den Ordensnamen „Gerhard“. Am 28.03.1931 legte er die zeitliche Profess (für drei Jahre) ab. Ende der zwanziger Jahre hatte die Abtei Bronnbach a. d. Tauber wegen beengter Raumverhältnisse das um 1242 gegründete ehemalige Zisterzienserinnenkloster (bis 1576) Seligenporten im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz erworben und 1930 die Abtei Seligenporten gegründet.
Nach 1576 war dieses Kloster in landesherrlichen Besitz übergegangen, wurde ab 1692 dem Salesianerinnenkloster in Amberg zugeschlagen und im Zuge der Säkularisation 1802/03 an Privatpersonen veräußert. Nach der freiwilligen Auflösung des Zisterzienserkonventes 1967 wurden die Gebäude verpachtet, später verkauft. Heute ist das ehemalige Kloster ein Hotel mit Restaurant und Einrichtungen für Pferdesport und Kutschfahrten. Der Name des Klosters, den auch der um das Kloster entstandene Ort trägt, leitet sich von dem lateinischen Gründungsnamen monasterium felicis portae : Kloster der glücklichen/seligen Pforte her.
Zwei Monate nach der Profess des Novizen Gerhard (Michael) Scherer übersiedelte der Konvent Bronnbach in das Kloster Seligenporten. Scherer war auf diese Weise wieder in seiner Heimat angekommen. Anfang Mai 1934 legte er die ewigen Gelübde ab. Ein Theologiestudium hatte er zwischenzeitlich im Kloster absolviert. Am 29. Juni des gleichen Jahres wurde er, nach vorangegangener Weihe zum Subdiakon und Diakon, von Bischof Konrad Graf von Preysing in Eichstätt zum Priester geweiht. Ab 1936 übernahm Pater Gerhard verschiedene externe Aufgaben. So wirkte er von Februar bis April 1936 als Pfarrvertretung in Kamenz, Kreis Frankenstein, an der Glatzer Neisse. Vom 30. Juli 1936 bis 1. April 1938 war er Kaplan und Beichtvater im Zisterzienserinnenkloster St. Marienstern bei Bautzen, Oberlausitz.
Im November 1937 war der damalige Abt von Seligenporten, Stephan Geyer, zum Administrator der Abtei Stams in Tirol ernannt worden. Er beabsichtigte, die Konvente Stams und Seligenporten in Stams zusammenzuführen, und hatte bereits im Januar 1938 Teile des Konvents Seligenporten nach Stams abberufen. P. Gerhard folgte im April desselben Jahres. Bald nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 setzte jedoch dort der Kirchenkampf und Klostersturm ein. Die Abtei Stams blieb nicht verschont. Am 19. August 1938 wurde sie zunächst einem NS-Kommissar unterstellt, am 22. Juli 1939 folgte dann die Auflösung des Konvents.
P. Gerhard, der bereits am 1. Juli 1939 für zwei Wochen inhaftiert worden war, wurde am 22. Juli erneut festgenommen und in Innsbruck eingesperrt. Inhaftierungsgrund war das angebliche „Wegschaffen von Wertgegenständen des Klosters Stams“. Kurz danach, am 12.08.1939, wurde auch der Abt Stephan Geyer auf der Grundlage der gleichen Vorwürfe inhaftiert. Aus dieser sogenannten „Schutzhaft“ wurden die beiden Mönche Anfang Dezember 1939 wieder nach Seligenporten entlassen. P. Gerhard war nun wieder in seiner Heimat, doch sollte auch dieser Aufenthalt nur kurz sein. Ab Anfang des Jahres 1940 übernahm P. Gerhard die Stelle eines Hausgeistlichen in der Niederlassung Sächsisch Haugsdorf des Klosters vom Orden der hl. Maria Magdalena von der Buße in Lauban, Riesengebirge. Zusätzlich betreute er die Pfarrgemeinde des kleinen Ortes und ab Frühjahr 1942 ein von Lauban dorthin verlegtes Altersheim. Zeitzeugen zufolge war der „stille und fromme Herr dort überall sehr beliebt“.
Am Karfreitag des Jahres 1943 wurde P. Gerhard wegen Opposition gegen das NS-System erneut von der Gestapo festgenommen, verhört und anschließend im Gefängnis Görlitz in Untersuchungshaft gehalten. Er hatte wohl politisch unakzeptable Äußerungen getan und war verraten worden. Darüberhinaus wurde ihm das wiederholte Abhören der verbotenen deutschen Sendungen des BBC vorgeworfen. Dies wurde von ihm nicht bestritten, er betonte jedoch, dass es sich nicht um ein aktives Abhören, sondern mehr oder weniger um ein „Mithören“ außerhalb seiner Unterkunft gehandelt habe.
Am 9. August 1943 verurteilte ihn ein Sondergericht in Görlitz zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrecht für zwei Jahre. Die Zuchthausstrafe musste P. Gerhard im niederschlesischen Brieg abbüßen, wo er am 26.08.1944 verstarb. Über die Zeit von der Inhaftierung bis zu seinem Tod und über die Art seines Todes existieren unterschiedliche, nicht nachprüfbare, Vermutungen. P. Alberich Gerards, war von 1955 bis 1967 Abt des Klosters Seligenporten. Nach seiner Aufzeichnung einer mündlichen Mitteilung aus dem Jahre 1964 wurde P. Scherer im Zuchthaus Brieg in Schlesien im März 1944 zu Tode gemartert. Andere Vermutungen gehen dahin, er sei während seiner Haft verhungert bzw. an den Folgen der Behandlung verstorben.
Auf welche Art P. Gerhard Scherer im Zuchthaus Brieg auch zu Tode gekommen sein mag, zweifelsfrei ist er ein Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft geworden. Auch aus diesem Grund verdient er, dass die Erinnerung an ihn und sein bewegtes Leben in seiner Heimat und der Diözese lebendig gehalten wird.
Christian Klee