Gregor Schneid war ein großer, stattlicher Mann mit schwarzer Hornbrille im kantigen Gesicht. Kalligraphisch gestaltete Schriftstücke unterschrieb er lateinisch mit Gregorius, denn die Liebe zu Latein und Freude an kunstvollem Gestalten waren für ihn typisch. Das Selbstverständnis des Priesters Gregor Schneid in der Kriegs- und Nachkriegszeit war es, missionarisch tätig zu sein mit allen Facetten seiner Person. Seine Begabung als Künstler in nahezu allen Bereichen darstellender Kunst und seine Berufung als Hirte der ihm anvertrauten Menschen waren die zwei Seiten dieser Persönlichkeit, die eine natürliche Autorität ausstrahlte. Er schuf Figuren aus Holz, er malte, mauerte, schmiedete, konnte organisieren und führte bei großen Theateraufführungen Regie. Er war ausgesprochen feinsinnig, empfindsam, großzügig, aber auch fordernd, konnte aus der Situation heraus sehr direkt sein. Gegenreaktionen blieben daher nicht aus, seinem Gegenüber blieb er bei allem Respekt nichts schuldig. Gregor Schneid hatte Gespür für das, was in der Luft lag. Zu dem Zeichenlehrer „Pater“ Gregor in der klösterlichen Mittelschule von Plankstetten waren die Schülermeinungen geteilt. Sein bestimmtes Auftreten verstanden nicht alle, erschreckte manchen, wenn er für ein Stillleben ein dickes altes Buch mit einem Totenschädel darauf und einen Kerzenständer daneben mit brennender Kerze als Vorlage aufbaute. Während der Unterrichtszeit arbeitete er z.B. am Entwurf eines Abtstabes und wandte sich immer wieder den Schülern zu. Mit der Zeit wurde seine tiefgründig humorvolle und fürsorgliche Art verstanden.
Fast ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit er mit knapp 57 Jahren an einem Krebsleiden verstarb. Der Schmerz und die Trauer waren groß bei den vielen, denen er zum Freund und Lehrer geworden war. Sein Rat und seine Hilfe wurden schmerzlich vermisst. Den heute noch Lebenden, die ihn kannten, ist er in Erinnerung geblieben. Er hat junge Menschen geprägt, Spuren hinterlassen, nicht nur mit seinen Werken.
Gregor Schneid wurde am 14. Juni 1910 in Eitensheim geboren. Sein Vater war Stationsvorsteher des Eitensheimer Bahnhofs der Bahnlinie Treuchtlingen – Ingolstadt. Zusammen mit Bruder und Schwester wuchs Gregor auf. Vorbeifahrende Züge bei Tag und Nacht waren Teil seiner Kindheit. Das Woher und Wohin dieser Züge, die am Horizont auftauchten, vorbei fuhren und wieder verschwanden, regte die Phantasie an und die Sehnsucht nach der Ferne. Seine Mutter erkannte und förderte aber vor allem sein Interesse an einem geistlichen Beruf. Beide Interessen hätten sich für ihn gut zusammenführen lassen, wenn er Missionar hätte werden können. Die Mission wurde sein Lebenstraum. Nach der Volksschule besuchte er das Gymnasium bei den Missionsbenediktinern von St. Ottilien am Ammersee. Nach dem Abitur trat er in das Noviziat ein und begann zusätzlich zum Theologiestudium verschiedene Handwerke und Kunsthandwerke, wie sie von einem Missionar gebraucht werden, zu erlernen. Seine Sehnsucht, in die Mission gehen zu können, ging nicht in Erfüllung, da gesundheitliche Voraussetzungen nicht gegeben waren. Er gab die Hoffnung nicht auf, als er gezwungen war, in sein Heimatbistum Eichstätt zurückzukehren. 1936 wurde er in Eichstätt zum Priester geweiht. Seine ersten Stellen waren Arberg, Nürnberg-Eibach und die Spalter Filiale Hagsbronn.
Als der Kaplan Gregor Schneid in einer kalten, klaren Mondnacht im März 1945, kurz vor Ende des Krieges, mit dem Fahrrad durch das zerbombte Ellingen kam, sah er am Ortsende die stark beschädigte Pfarrkirche St. Georg. Seiner Erzählung nach empfand er den mit Schnee bedeckten Kirchenraum wie von einem Leichentuch verhüllt. Er kniete ergriffen vor dem Altar nieder und spürte, dass der Wiederaufbau dieser zerstörten Kirche seine Aufgabe sein würde. Bischof Michael Rackl betraute Gregor Schneid mit der Kaplanstelle in Ellingen, denn die Kaplanstelle war verwaist und der Stadtpfarrer und Dekan des Dekanates Ellingen Anton Schalk war Opfer des Bombenangriffs am 23. Februar 1945 geworden.
Bereits seit 1943 war die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste wegen der massiven Bombardierung Nürnbergs nach Ellingen ausgelagert und im Westflügel des ehemaligen Deutschordensschlosses untergebracht. Mit den Professoren und Studenten kam auf diesem Weg die aktuelle Kunstszene nach Ellingen, und so waren häufig Studierende mit Skizzenblöcken bei ihren Studienarbeiten anzutreffen, die mitunter aus Unverständnis für den „Zeitvertreib“ als Pinselhupfer bezeichnet wurden, als das Überleben ein täglicher Kampf war. Für den Künstler Gregor Schneid aber war die Anwesenheit und die Arbeit der Akademie ein glücklicher Umstand. Durch Kontakte mit Professoren und Studenten waren Anregung und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen der bildenden Künste stets präsent. Daraus ergab sich eine Messlatte seines eigenen künstlerischen Schaffens.
Während in der unbeschädigten Schlosskirche die Gottesdienste gehalten wurden, war die Pfarrkirche St. Georg zur Baustelle geworden. Kaplan Gregor Schneid war für alles zuständig: als Kaplan verantwortlich für Seelsorge und Jugendarbeit, war er zugleich Beschaffer von Baumaterial aller Art, Architekt und erster Maurer, Kunstmaler und Restaurator von noch reparablen Fresken beim Wiederaufbau der St. Georgskirche. Der Kaplan Schneid entfachte mit seinem Optimismus und seiner anpackenden Art Aufbruchstimmung. Zu einer wichtigen Stütze wurde für ihn die in der Nazi-Zeit verbotene und von ihm wiedergegründete Kolpingsfamilie (damals noch als Gesellenverein bezeichnet). Dies war auch der Beginn einer äußerst aktiven Jugendarbeit, bei der einige Studenten der Akademie mit eingebunden waren. Zahlreiche anspruchsvolle Theateraufführungen fanden unter seiner Regie statt. Sogar die Oper „Der Freischütz“ wurde auf der Naturbühne des Sommerkellers mit der Ellinger Jugend aufgeführt. Denn es bestand ein wahrer Hunger nach Kultur und Unterhaltung. Als Präses seines Gesellenvereins war er auch bei Freizeitaktivitäten dabei, wie ein Foto einen vergnügten Gregor im Autoscooter zusammen mit einem Kolpingsohn zeigt.
Auf Anregung von Gregor Schneid hatte der Bildhauerstudent Leo Bäumler zusammen mit Studienkollegen viele der schwer beschädigten Hausmadonnen instand gesetzt. Dafür hatte der „Bau-Kaplan“, wie er auch genannt wurde, mit Unterstützung seiner Kolpingsöhne den südöstlichen Wehrturm der Stadtbefestigung zu einer Wohnung hergerichtet. Für diesen Turm (heute Kolpingsturm) entwarf er einen Kronleuchter, der die Tugenden des Gesellenvereins in einem umlaufenden Schriftband, unterbrochen von Bildreliefs, verkündet. Mit dem Kronleuchter wurde frühzeitig seine Idee zum Ausdruck gebracht, dass sich der Wehrturm für die Jugend als Treffpunkt gut eignen würde.
Nachdem Stadtpfarrer Schuster, mit dem sich Schneid sehr gut verstand, Ellingen verlassen hatte, kam 1947 Florian Sangl als neuer Stadtpfarrer nach Ellingen. Sie verstanden sich nicht gut. Gregor Schneid hatte in Ellingen Fuß gefaßt und ließ sich nicht beirren. Das Bistum bot auch später weitere „Baustellen“ für den Priester und Künstler Gregor Schneid.
Da der Deutsche Orden im Ellinger Stadtbild allgegenwärtig ist, hatte Gregor Schneid den Kontakt zu dem inzwischen rein geistlichen Deutschen Orden gesucht. Der nach dem Krieg in neue Regeln gefasste Zweig der Familiaren (neben den Zweigen der Deutschordenspriester und Deutschordensschwestern) zeigte ihm den Weg. Er trat als Familiare, auch als „Marianer“ bezeichnet, zusammen mit dem Lokalhistoriker Rudolf Schub 1956 dem Deutschen Orden bei, ein Jahr später folgten ihnen der Bürgermeister Franz Grüll und sein Stellvertreter Hans Haberkern nach.
Als die St. Georgskirche im Dezember 1953 wieder hergestellt war, suchte Kaplan Gregor Schneid eine neue Aufgabe. Seine Hoffnung, doch noch in die Mission gehen zu können, führte ihn zurück nach St. Ottilien. Die Stille bei den Benediktinern gab ihm die Kraft und Inspiration, den Lebenstraum Mission auf die Menschen hier im Bistum zu übertragen. Dem Benediktinerorden blieb er nun als Oblate verbunden. Jede zweite Woche verweilte er einige Tage im Kloster Plankstetten, wo er den Schülern der klösterlichen Mittelschule als Pater Gregor Zeichenunterricht erteilte.