Vita
1919 an einem Novembertag kam ich in Wemding im Ries auf die Welt. Gläubig-fleißige Bauern waren meine Ahnen.
1927 lernte man mir das Einmaleins auf drei Treppen (Himmel, Fegfeuer und Hölle). Weil ich zitterte kam ich oft in die Hölle und bekam Stockschläge. Ich war still und lauschte in Tränen auf die Töne der Welt. War glücklich in den Wiesen und am Bächlein und wenn die Sonne schien in den Lindenbäumen, wo ich saß und die erste Form suchte. Aus den Ästen schnitzte ich kleine Köpfe. Die Welt war schön.
1932 steckte man mich zu einem Meister in die Lehre und man sagte mir, der Stein muss eckig geschlagen werden. Figuren haben so und nicht anders zu sein.
1936 München – Kunstgewerbeschule. Man sagte mir, dass die Form und die Welt rund sei, und Beziehungen alles sind. Großartige Bälle musste ich durchstehen und den Großen des Landes wurde ich vorgestellt. Die große Welt aber leuchtete nicht und der Bildhauer wusste nicht, war die Form eckig oder rund – war die Welt eckig oder rund.
1939 schien dies unwichtig. Ich war Arbeitsmann und Soldat und meine Kameraden, die befördert wurden und aufgestiegen waren, durften mich durch den Dreck ziehen. Krieg war Kampf und der Tod war Freund. Zwischen Dante und Hölderlin glühte im Tode das Leben. In der Russischen Steppe schien Himmel und Hölle näher, - wo, wo war Gott. Nächtelang schrieb ich eingezwängt unter den Kameraden, in den Panje-Hütten am Boden liegend in Nacht und Finsternis.
1945 Der Krieg war zu Ende. Das Land war wüst und leer – ein neuer Schöpfungstag begann. In Stuttgart an der Kunstakademie suchte ich einen Lehrer um zu erfahren wie die Form zu sein hatte. Ich fand ihn nicht. Und die Traurigkeit, die auf mir lag, wich nur langsam. Immer noch war ich der stille Horchende, im Bewusstsein des Wortes: „Wenn Ihr nach mir fragt von ganzem Herzen, werde ich mich finden lassen.“ Wo lag die Erkenntnis – eine umfassende Erkenntnis, die alles mit einbezieht – den Himmel und die Erde – und die eigene Form in der Einheit. Das Suchen ging weiter.
1960 In der Stille der Heimat wuchs ein erster Flötenspieler aus Bronze. Der Ton durchzitterte seinen Leib in Freude und Lust. Der Ton klang ins All – frei sein – wie Alleluja klang es. Die ersten Engelchöre entstanden. Preiset den Herrn – er hat sich finden lassen. Einmal, noch einmal und noch einmal.
1970 Inzwischen war das Land bunt und reich geworden. Der Tanz um das Goldene Kalb begann. Mode und Kunstrichtungen überschrieen sich. Die Formen hatten rund und eckig zu sein, das Leben laut. Und während die Menschen ihre Leiber bis obenauf füllten, stürzten meine Leiber. Erfüllt von Angst griffen sie ins Leere – Weltgerichtsszenen entstanden. Tänzerinnen und Tote. Liebende und Musizierende in Katastrophen und Gewalt. Ein Gewirr von Leibern.
1971 „Nicht Neues unter der Sonne“ war der Titel zu einem Bronzezyklus. Zeitkritische Themen packten mich, die Bosheiten des bürgerlichen Lebens. In „Träumen und Visionen“ kamen die Ängste und Schrecken zu Tage. Und immer noch mehr häuften sich die Leiber, das Gedränge wurde immer erregender. Die Motive bewegen sich um den Menschen. Die Themen heißen: „Wer ist Dein Nächster“ – „Gott liebt Jeden“. Die Gestalt des Jonas taucht auf. Einer, der sich gegen den Willen Gottes stellt und unterliegt. Gott aber siegt.
1975 Andere Formen von Engeln tauchen auf. In der Toskana sah ich sie zuerst – wo auch Michelangelo und Henry Moore ihre Plastiken sahen. Auf einem Hügel sollten sie stehen – über den Weizenfeldern, nahe dem Himmel. Daheim suchte ich dafür einen Platz.
1976 Blütenartige Formen entstehen. In der Knospe zeigt sich das Leben in seiner stärksten Form – noch ist alles verborgen was werden soll, aber alles ist schon da und treibt zur Entfaltung.
1977 Das Jahr der Menschenpaare – das Einssein in Geist und Form. Sie musizierten. Geborgensein in einer aufgerissenen, zerfurchten Welt.
1984 Eines Tages – es war wieder nass und kalt – und ich war 65. Mit denen ich das Einmaleins lernte, lebten noch drei. Da suchte ich einen neuen Weg aus der Enge – verließ mein Haus und begann mit meiner treuen Familie neu, in einem alten Schloss. Gott gab mir noch einmal Kraft um Neues aus dem Verfallenen zu machen – und es wurde schön. Meine Köpfe und Paare wurden endlich groß und rund. Den Trubel der Welt hörte ich nur von ferne – und wenn ich vom 4. Stockwerk in die weite Welt sah, liebte ich das Leben, den Himmel und dann öffnete ich für Alle das Schlosstor und es kamen die Einfältigen und die Fürsten. Die jungen Paare aber lud ich ein und sprach vom Einssein im Geist und in der Seele, wie ich es nur in meinen Bildern erreichte.
1992 Nun hatte ich endlich Platz für die Engel und es entstanden viele große und kleine Engelplastiken in Bronze und Stein. Wie sichtbar gewordene unsichtbare Boten– sie stehen im Bereich des Schlosses Spielberg. Die Jahre darauf waren die Jahre der vielen großen Engelbilder.
Ernst Steinacker
2000 schreibt Ernst Steinacker In seinem Buch „Freude der Auferstehung“: „Ein Reihe von großen Bildern sind in einer Sammlung im Heidenheimer Kloster vereint, die ich in den letzten Jahren, 1995-1997, geschaffen habe. Es sind Bilder, die von Zeit und Ewigkeit aussagen möchten – von der Auferstehung künden und von der Freude der Erwartung. Es sind Zeichen der Menschen – voll von der Zuversicht und Hoffnung, heim zu Gott zu kommen. Die Farben und Zeichen könnten ein Alleluja sein. Über allem spürt man Gott – Engel sind überall – oder sind es auferstehende, verklärte Menschen?“ In seinem letzten großen Thema, der „Freude der Auferstehung“, wie er es nannte, vollzieht sich eindrucksvoll eine endgültige Transzendierung des Menschenbildes in das ahnbar Göttliche. Mit den Augen eines Visionärs stellt er die Menschen in ihrer neuen Leiblichkeit der Auferstehung dar.
2008 verstarb der Maler und Bildhauer Ernst Steinacker nach einem reichen schöpferischen Leben auf Schloss Spielberg, aus dem er ein Gesamtkunstwerk bildete. Die Engel- und Figurenwiese, der Innenhof des Schlosses und insbesondere die Ausstellungsräume im Schloss selbst zeigen die Vielfalt seines künstlerischen Werkes.
Veit Steinacker